Von Gert G. von Harling
Neozoen sind Tiere, die durch direkte oder indirekte Einwirkungen des Menschen in neue Territorien eingeschleppt wurden und dort überlebt haben. Wir unterscheiden sie in etablierte und nicht etablierte Neozoen, wobei die etablierten seit einem Zeitraum von über 25 Jahren und seit mindestens drei Generationen selbstständig, d.h. ohne Hilfe des Menschen, in der neuen Umgebung leben.
In Deutschland sind bis heute schätzungsweise 700 Neozoen eingeführt worden. Andere Schätzungen gehen von rund 2.000 aus.
Fasanen, Muffel-, Sika- und Damwild sind mehr oder weniger willkommen, Goldschakal, Bisam und Nutria, Waschbär, Kanada- sowie Nil- bzw. Rostgans weniger, bei Wolf, Elch, Luchs und Biber streiten sich Jäger mit Ideologen noch, für alle aber gilt, aufhalten können wir sie nicht mehr.
Fremdlinge in unserer Heimat
Wahrscheinlich kommen alle über die Erde verbreiteten Fasanen ursprünglich aus China. In den Augen vieler Naturschützer gelten sie immer noch als Fremdlinge, obwohl es sie bei uns seit mehr als tausend Jahren gibt. Bereits die alten Römer hielten Fasanen in ihren Garnisonen als Zier- und Tafelvogel. Ihr Vorkommen ist von Griechenland über den Balkan, Karpaten- und Alpenrand bis Südfrankreich schon im Mittelalter nachgewiesen, und die hübschen Vögel - Hermann Löns nannte die bunten Hähne abfällig „Jagdpapageien“ - haben ein längeres Bleiberecht als beispielsweise unsere geliebten Hauskatzen, die längst nicht so lange in Deutschland heimisch sind.
Dank ihres Körperbaus können Fasane aus hoher Deckung senkrecht aufsteilen, und, haben sie genügend Luft unter ihren Schwingen, sprichwörtlich „turmhoch“ und „pfeilschnell“ dahingleiten. So bieten sie passionierten Flintenschützen anspruchsvolle Flugwildjagden, für die einen edles Waidwerk, für die anderen perverser Schießsport.
Zu Hunderttausenden werden die farbenprächtigen Hühnervögel in Volieren aufgepäppelt und ausgewildert. Das Geschäft mit Flugwildjagden boomt. Die Welle des Aussetzens von Tieren zur Anreicherung der Wildbahn, wie man es nannte, ist in Deutschland allerdings vorbei. Das Auswildern bedarf behördlicher Genehmigungen, die nur in Ausnahmefällen erteilt werden. Daher nehmen die Fasanenbesätze stetig ab. Doch gäbe es keine Jäger, gäbe es auch keine Fasanen mehr in Europa.
Die exotischen Gockel fehlen mir schon jetzt. Der schnelle Schuss auf einen vorbeistreichenden Hahn, der danach die Schwingen anlegt, zu Boden fällt und der Hund, der den Vogel sucht und apportiert, sind für mich Höhepunkte einer Flugwildjagd, und ein weiterer Höhepunkt ist ein leichter Mosel, dazu gebratener Fasan mit Sauerkraut - eine Delikatesse.
Auch das Muffel Wild ist bei uns rar geworden. Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammend, wurde es in Deutschland vom Menschen angesiedelt, ist vom ökologischen Standpunkt aus also eine „fremde Wildart“ in unserer Fauna. Über ein Jahrhundert ist vergangen, seit es eingeführt wurde, und es gilt nach Definition des Bundesnaturschutzgesetzes als „heimisch“, da es sich bereits über mehrere Generationen bei uns erhalten hat. Durch seine Einbürgerung haben unsere Wildbahnen eine Bereicherung erfahren.
Doch nun streifen auch Wölfe und Luchse durch deutsche Reviere, in denen Mufflons schon lange heimisch geworden sind, quasi ein älteres Lebensrecht besitzen als die Grauhunde oder Pinselohr. Mehrere Vorkommen sind durch eingewanderte Wölfe bereits ausgelöscht worden. Das einstmals an ein anderes Habitat angepasste Fluchtverhalten nützt den Wildschafen zum Überleben wenig. Ursprünglich ein Tier der Berge, kann es sich in zerklüfteten Gebirgslandschaften geschickt der Verfolgung von Feinden entziehen. Diese Möglichkeit ist in der Ebene nicht gegeben. Durch die neuen Einwanderer Luchs und Wolf haben sich in unseren Revieren die Lebensbedingungen für andere heimische Tierarten geändert. Das Muffelwild musste als erstes daran glauben, weitere werden folge.
Kürzlich spürte ich im schlammigen Ufersand des kleinen Heideflüsschens, das sich durch unser Revier schlängelt, einen Enok und erzählte befreundeten Jägern von meiner Beobachtung. „Pass auf, dass der verdammte Einwanderer nicht unter deinem Niederwild aufräumt, Marderhunde muss man schießen, immer und überall“, war die Reaktion.
Nennenswerte Niederwildbesätze hat es nämlich in unserem Revier und auch in der weiteren Umgebung nie gegeben, sie sollen für die Schussgier der Jäger herhalten. Die Hysterie über den „Neubürger“ war also in dieser Hinsicht unbegründet. Doch: „Wenn sich ein Laster genügend verbreitet hat, wird eine Tugend daraus“, meinte der amerikanische Entertainer Frank Sinatra. Vielleicht zielte er damit auch auf Jäger, die kein schlechtes Gewissen kennen und unter fadenscheinigen Argumenten in der Setz- und Aufzuchtzeit Marderhunde, Waschbären, Nutrias und Co. killen.
„Einwanderer?“, grübelte ich. Vor 8.000 Jahren war Deutschland, wahrscheinlich halb Europa, mit Eis bedeckt. Alles, was hier kreucht und fleucht, ist danach eingewandert. So gesehen sind Mink und Maus, Reh und Rotkehlchen, Hase und Haubentaucher Fremdlinge in Deutschland, wir Menschen sind ebenfalls Einwanderer, auf Neudeutsch: Lebewesen mit Migrationshintergrund.