Von Prof. Dr. Johannes Dieberger

Wir Menschen haben ein ambivalentes Verhältnis zur Natur: Auf der einen Seite betonen wir, dass wir ein Teil von ihr sind, wir bemühen uns, sie zu erhalten, zu schützen oder auch wiederherzustellen, soweit wir dies vermögen. Auf der anderen Seite überlasten und zerstören wir unsere Umwelt und gehen auch mit Tier- und Pflanzenarten, die mit uns den Lebensraum teilen, sehr sorglos um.

 

In der Genesis (dem ersten Buch Mose der Bibel) fordert Gott die ersten Menschen auf: "Macht euch die Erde untertan". Das bedeutet, dass wir die Natur nutzbar, verfügbar machen sollten. Wir haben diesen Auftrag wohl gründlich missverstanden, denn seit ein paar Tausend Jahren übernutzen und vergewaltigen wir unsere Umwelt in verantwortungsloser Weise. Und seit etwa 400 Jahren versuchen wir mitteleuropäische Jäger, karnivore Wildarten (=Fleischfresser) und andere "Schädlinge" auszurotten. Dieser zwiespältige Einstellung hatten unsere Vorfahren aber nicht von Anfang an. Noch vor ein paar Tausend Jahren lebten sie mit der Natur im Einklang. Der steinzeitliche Mensch musste sich nachhaltig im Lebensraum behaupten und gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzen, wenn er seiner Art das Überleben sichern wollte. Dazu waren Einfühlungsvermögen und gute Kenntnisse über die belebte und die leblose Umwelt notwendig. Die Erfindung der Jagd vor 400.000 Jahren ermöglichte dem Menschen, auch weniger günstige Lebensräume zu besiedeln, wie zum Beispiel das klimatisch kältere und eiszeitliche Europa, in dem er als Sammler nicht ganzjährig überleben hätte können. Zu dieser Zeit übernutzte der Mensch noch keine Pflanzen- und Tierarten, denn es bestand zwischen ihm und seinen Mitgeschöpfen eine echte "Räuber-Beute-Beziehung". Die Situation änderte sich erst mit der Erfindung der Landwirtschaft, in Mitteleuropa etwa vor 6.000 Jahren. Wir nennen diesen Zeitpunkt neolithische Revolution - und es war dies tatsächlich eine Revolution, als unsere Vorfahren von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaft übergingen. Erst ab diesem Zeitpunkt kam es zu Übernutzungen, Ausrottungen von Pflanzen- und Tierarten, Konkurrenzkampf und Krieg. Die Population des Homo sapiens (" des "weisen Menschen") begann nun exponentiell zu wachsen, was noch bis heute anhält, und man fragt sich, warum gerade diese Art als "weise" bezeichnet wird.

Weltmeister der Ausrottung

 Auch unser Verhältnis zu den fleischfressenden Tierarten ist ambivalent. Wir lieben und verwöhnen unsere Hunde, aber den Wolf, von dem sie abstammen, fürchten, ja hassen wir vielfach. Wir schätzen das scharfe Auge der Adler und Luchse, bewundern die Schlauheit der Füchse, die Schnelligkeit der Geparde und finden Löwen, Bären und Adler wertvoll genug, uns als Wappentiere zu dienen. Andererseits haben wir diese Arten - zumindest bis vor wenigen Jahrzehnten - vehement verfolgt und versucht, sie auszurotten. In Mitteleuropa waren wir in dieser Hinsicht bei einigen Tierarten sehr erfolgreich, ja, wir Österreicher sind Weltmeister im Ausrotten des Raubwildes, gleich gefolgt von den Tschechen. Zu den Katzen haben wir eine ähnliche Beziehung: Viele Menschen lieben ihre Hauskatzen und schätzen ihr anschmiegsames Verhalten. Die Wildkatzen dagegen wurden in den vergangenen Jahrhunderten von unseren Vorfahren bzw. werden heute noch von vielen Zeitgenossen abgelehnt, auch ihre geplante Ausrottung ist in weiten Bereichen Mitteleuropas gelungen. Ich möchte im folgenden am Beispiel der kleinen Wildkatze aufzeigen, wie es zu dem wachsenden Misstrauen zwischen Raubwild und Jäger gekommen ist.

Vor der Einführung der landwirtschaftlichen Produktion hatten die Jäger der Steinzeit Wildkatzen wie verschiedene andere Raubwildarten zweifellos nur sehr selten erbeutet. Einerseits können solche Wildarten in der Regel nur in viel kleineren Populationen überleben als ihre Beutetiere und andererseits lohnten das geringe Gewicht und der geringe Ertrag, den so ein scheues, versteckt lebendes Tier lieferte, nicht den Aufwand, den es zu seiner Erbeutung benötigte. Die Sammler und Jäger mussten ja aus allen ihren Jagderträgen so viel Energie gewinnen, dass diese für die Erlegung des nächsten Tieres ausreichte. Daher konzentrierten die Steinzeitjäger ihre jagdlichen Aktivitäten vorwiegend auf größere, fleischreichere Wildtiere, die eine positive Ertragsbilanz erwarten ließen. Diese Situation änderte sich erst in einer warmen Klimaphase, als unsere Vorfahren begannen, sich mit Ackerbau und Viehzucht abzumühen. Dadurch wurde die Nahrungsbeschaffung zwar anstrengend und arbeitsintensiv, aber die Versorgung der Bauern war sicherer und erlaubte auch eine größere Zahl von Menschen, auch gleicher Fläche zu überleben. Nunmehr erlangte die Jagd eine ganz andere Bedeutung: Wildbret war vielfach nur mehr eine Ergänzung zur produzierten Nahrung, man konnte sich damals den Luxus leisten, auch kleinere Wildarten zu verfolgen und zu erlegen. Andererseits mussten die neuen Landwirte nun ihre Haustiere vor größerem Raubwild schützen. Aber auch hier spielte die Wildkatze noch eine sehr nebensächliche Rolle.

Das Misstrauen ist uns nicht angeboren.

Bildschirmfoto vom 2023 10 17 23 11 11Das Misstrauen  gegenüber der Wildkatze, die negative Einstellung zu diesem Tier, ist dem Menschen nicht angeboren. Von den religiösen Vorstellungen der Germanen, die außerhalb des Römischen Reiches lebten, sind nur wenige Daten erhalten geblieben (siehe St. Hubertus, Heft 12/2014). Wir wissen aber von der nordischen Göttin FREYJA, der Tochter des Meeresgottes NJÖRD und der Jagdgöttin SKADI, daß sie die Schönste und die beliebteste aus dem Göttergeschlecht der Vanen war. Sie war Liebes-, Fruchtbarkeits- und Frühlingsgöttin und hatte meist Wildkatzen in ihrer Begleitung.

FREYJA benutze auch einen Wagen, der von zwei solchen Tieren gezogen wurde. Die Wildkatze hatte bei den Nordgermanen ein sehr positives Images.

Die Bevölkerung nahm zu und die Zeiten wurden immer unsicherer, man brauchte daher Führungspersönlichkeiten, die Verteidigung und Ordnung organisierten. Die Herrscher und deren Gefolge nutzen seit damals das Weidwerk vorwiegend zu ihrer Unterhaltung und zum Training für den Krieg. Dazu war die Jagd auf gefährliche Wildarten, wie Elch, Auerochse und Wisent, Bär, Wolf und Wildschwein, gut geeignet. Die Jagd hatte von der Antike bis zum Mittelalter zwei Erscheinungsformen: Einerseits diente sie als höfisches Weidwerk der Unterhaltung und Ertüchtigung der gehobenen Gesellschaftsschichten. Andererseits versuchten die "Küchenjäger" der Adeligen wie die noch nicht entrechteten Bauern und Bürger, Wildbret zu erbeuten. Karnivore Arten sind und waren immer seltener herbivore Tiere, sie sind in der Regel auch viel schwerer zu erbeuten. Man hatte damals die Vorstellung, dass man durch das Verspeisen der Füchse oder Adlers deren Schlauheit und Scharfäugigkeit oder sonstige positive Eigenschaften erwerben konnte. Daher wurde das Wildbret des Raubwildes für die Hofküche reserviert und Rotwild, Rehwild und Hasen verkaufte man oft für gutes Geld an die Untertanen. Conrad GESNER schrieb noch 1669, das Fleisch der Wildkatze "sey mit dem Hasen einer Complexion und werde bey ihnen in der Speise gegessen". Heute erscheinen uns diese adligen Vorlieben sonderbar bis unglaublich. Diese Wertschätzung ist aber bei den Fischen bis in die Gegenwart erhalten geblieben, denn Forellen, Zander, Aale udn andere "Raubfische" gelten als Edelfische und werden zu weitaus höheren Preisen gehandelt als Weißfische, Schleien und Karpfen.

In mittelalterlichen Jagdtraktaten wurde die Gefährlichkeit von Bären, Wölfen, Luchsen, aber auch Auerochsen, Wisenten und Wildschweinen für Jäger und Hunde als Herausforderung für das höfische Weidwerk positiv bewertet, dabei findet man da keine Aufforderung, diese Wildarten im Interesse von Menschen und Haustieren kurz zu halten oder gar zu bekämpfen..

Bildschirmfoto vom 2023 10 17 23 11 59Nur bei der Bekämpfung des Wolfes war man sich nicht ganz einig. Einerseits galt er als geschätztes Beutetier für die ritterliche Jagd, aber andererseits galt er auch als Komplize und Symbol des Teufels, als dem Menschen direkt gefährlich, weshalb schon KARL der Große für seine Erlegung Prämien bezahlen ließ. Dieses mittelalterliche Misstrauen gegenüber Isegrim ist bei vielen Menschen bis heute erhalten geblieben (vgl. St. Hubertus, Heft 7+8/ 2013). Im "Buch der Jagd" des GASTON PHEBUS aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts findet man eine der besten Darstellungen bzw. Beschreibungen der Wildkatze. Dem Autor war der Unterschied zwischen Wildkatze und Luchs nicht bekannt, denn er berichtete nur über große und kleine Katzen. Manche seien so groß wie ein Leopard und werden als "loup cervier" (das ist: Wolf, der einen Hirsch angreift) bezeichnet. Ein Windhund könnte eher mit einem Wolf als mit solch einer Katze fertig werden. Der Illustrator dieses Buches hat wohl nie eine Wildkatze gesehen, für seine Darstellungen standen ihm vermutlich Hauskatzen Modell.

Das Misstrauen nimmt zu

Der Jagddruck auf das Raubwild nahm zu, sodass nur die scheueren, vorsichtigeren Vertreter einer Art gute Chancen zum Überleben und zur Vermehrung hatten. Damit mehrte sich auch das Misstrauen des Wildes gegenüber dem jagenden Menschen, der ihm mit verschiedenen Methoden nachstellte. Nun nahm aber das Misstrauen der Bauern gegenüber den adligen Jägern ständig zu, denn die höfische Jagd erschien den Berechtigten so wertvoll, dass sie die Landwirte und Bürger weitgehend von diesem Vergnügen ausschlossen. Die entrechteten Bauern im Gebirge brauchten jedoch das Wildbret zur Eiweißversorgung ihrer Familien. Da sie nicht mehr durften, jagten sie nun illegal, auch aus Protest gegen das Unrecht. Nun nahm auch das Misstrauen der Fürsten und Grafen zu, die alle Landwirte, Köhler und Waldarbeiter als potentielle Wilderer sahen. Das Weidwerk der Adligen galt im Mittelalter als ein Kunst, im Gegensatz zur Jagd der Bauern, der Wilderer oder der höfischen Küchenjäger, die nur als kunstloses Handwerk gesehen wurde. Daher schätzten die höfischen Jäger für ihr Weidwerk nur Beutetiere, die selten bzw. deren Bejagung besonders schwierig war. In der Renaissance änderten sich diese Ansichten, denn nun standen auch wirtschaftliche Erfolge im Vordergrund des adligen Handelns. Mit eingestellten Jagden versuchte man, größere Mengen von Schalenwild zu erbeuten, die zur Nahrungsversorgung der wachsenden Bevölkerung verkauft wurden. Aber das noch immer hoch geschätzte Wildbret der Raubwildarten blieb vorerst weiterhin der Hofküche vorbehalten.

Bildschirmfoto vom 2023 10 17 23 12 15Nach dem Dreizigjährigen Krieg und dem Schrecken der Türkeneinfälle änderten sich die Interessen der Herrschenden und deren Günstlinge. Nunmehr zählte nur, was Größe, Ansehen und Unterhaltung der absolutistischen Fürsten sicherte. Man veranstaltete prunkvolle "Hauptjagden" und "eingestellte Treiben", bei denen es auf die Masse des zusammengetriebenen Wildes sowie die aufwändige Inszenierung ankam. Die kleinen Populationen der Raubwildarten nützten bei solchen Schlachtfesten wenig, daher setzte man diese Arten eher bei Tierhetzen nach antikem Vorbild und beim sogenannten "Fuchsprellen" ein. FLEMMING rühmte dieses adlige Vergnügen, bei dem Füchse, Dachse, Marder, Frischlinge, aber auch Wildkatzen mit einen gespannten Netz immer wieder hochgeschleudert wurden, bis sie endlich den Aufprall am Boden nicht mehr überlebten. Bei diesen Auswüchsen der Jagd musste das Volk zusehen und Beifall klatschen. Für die fürstlichen Jagdfeste benötigte man nun hohe Schalenwilddichten, die nur mit zunehmenden Belastungen der Bauern und Frondiensten erreicht werden konnten. Beschwerden zeigten wenig Erfolg, derher reagierte das Volk mit Bauernsaufständen, die sich vorwiegend gegen das jagdliche Unrecht richteten. Nunmehr versuchten die adligen Jagdherrn, dem einfachen Volk die "Vorteile der Jagd" deutlich zu machen: Da das Raubwild ohnehin nicht mehr so wertvoll erschien, setzte man ab der Barockzeit für die Erlegung Prämien aus. Von da an wurden diese Arten für die Berufsjäger interessant, denn sie verhalfen zu willkommenen Nebeneinkünften zu ihrem bescheidenen Lohn. Man übertrieb nun bewusst die Gefährlichkeit der verschiedenen Tiere, um die Sorge der Jäger für Haustiere und Hauswirtschaft herauszustreichen. Manche Arten sagte man auch eine direkte Gefährdung für den Menschen nach: Es wurde von Wölfen und Bären berichtet, die in Gehöften und Dörfern die Menschen anfielen, und andere Schauergeschichten erzählten von Bartgeiern und Steinadlern, die kleine Kinder durch die Luft entführten.

Das böse Raubwild

Bildschirmfoto vom 2023 10 17 23 13 23Erst seit etwa 350 Jahren hatte man der Bevölkerung aus jagdpolitischen Gründen eine Abneigung gegenüber fleischfressenden Wildarten, die nunmehr "Raubwild" genannt wurden, anerzogen. Die Jägerschaft selbst glaubte diesen Rufmord vorerst nicht, freute sich über die Fang- und Abschussprämien. Von Tragfähigkeit des Lebensraumes, Populationsdynamik oder innerartlicher Konkurrenz hatte man damals natürlich noch keine Ahnung. Mit der Zeit meinte man, dass durch Ausschaltung der Konkurrenz, Kurzhalten und Ausrottung des nicht mehr geschätzten Raubwildes die Populationen des sogenannten Nutzwildes gewaltig gesteigert werden könnte. Wenn auch die Felle und Bälge verschiedener Arten zum Gerben sehr beliebt waren, dachte man nicht mehr daran, diese Wildarten nachhaltig zu bewirtschaften. Das Fell der Wildkatze wurde zwar wegen seiner schönen Zeichnung gerne verarbeitet, da es aber nicht sehr dauerhaft ist, bekam man dafür nur den halben Preis eines Fuchsbalges bezahlt. Dem Fett der Wildkatze wurde Heilwirkung nachgesagt: Auf die Glieder aufgetragen, soll es gegen "allerley Glieder-Kranckheiten nützlich zu gebrauchen" sein. Bei HOHBERG liest man noch: "Das wilde Katzen-Fleisch weich gesotten / und warm aufgelegt / besänfftigt das Podagra. Wann ein Mensch die Freyß hat / so nimm wild Katzen-Schmalz / binde davon dem Krancken in einer Nußschale auf dem Nabel / nachdem er groß ist / es hilfft durch Göttliche Gnade gewiß". Solche wertvollen Eigenschaften wurden allen möglichen Tieren nachgesagt, sodass man keinen Anlass hatte, die Katze aus medizinischen Gründen zu schonen. Die Jäger misstrauten mit der Zeit allen Raubwild- und Raubzeugarten, im besonderen Maß der Wildkatze. Vom bekannten Maler und Kupferstecher der Barockzeit Johann Elias RIDINGER stammt eine Radierung von einem Wildkuder, die mit folgenden Text versehen ist: "Dieses recht böse und räuberische Thier hält sich in großen Wäldern / streichen sowohl auf dem Boden in Felderen und in den Bäumen herum / da sie klein und grossem Feder-Werck ungemeinen Schaden thun / Bildschirmfoto vom 2023 10 17 23 13 41der Kater wird sonderlich groß / dahero er sich am Haasen und Wild-Kälber machet / sie wissen ins besondere die Vogel-Nester zu besuchen / und ist er in solcher Action allhier voegestellt." In der Literatur hat man Wildtiere, die sich nicht entsprechend den menschlichen Wünschen verhielten, vom Barock bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts als "böse"  beschrieben. Aber Tiere haben keine ethischen Vorstellungen, sie handeln nur nach ihren Instinkten.

In manchen Ländern, wie zum Beispiel der Steiermark, fand man für den Fuchs keine einheitliche Einschätzung, denn zeitweilig wurde diese Art als eifriger Mäusevertilger geschont und dann wieder als gefährliches Raubtier mit einer Fangprämie bedacht. Für die Wildkatze, die zweifellos mehr auf Mäuse und Kleinsäuger spezialisiert ist als der Fuchs, wurde dagegen niemals solche Überlegungen angestellt. HOHBERG beschreibt in seiner Georgica curiosa (über das "Adelige Land-, Feld- und Wasserleben") die Wildkatze als "ein sehr schädliches und böses Thier", vor dem kein Vogelnest, weder im Feld noch am Wasser noch hoch in den Bäumen, sicher sei. "Ist ein böses und wehrhaftes Thier und je ärger man ihr zusetzt unverzagter und grausamer wehrt sie sich" stellte HOHBERG fest und berichtete von einem Fall, wo sein Hund mit einer Katze im Röhricht kämpfte. Um seinem Jagdhund zu helfen, durchbohrte er die Katze mit dem Degen, worauf sich diese gegen den Jäger wandte. Der Hund sah nun seinen Vorteil und fasste die Katze am Genick. Erst jetzt vermochte HOHBERG, "mit dem Fuß gegen den Degen wieder aus der Katze zu ziehen und ihr folgend den Rest zu geben." Mit modern anmutenden Werbemethoden verstand man, die Gefährlichkeit der Katze herauszustreichen: Die Wildkatzen wurden mindestens so riesig wie größere Jagdhunde abgebildet, demnach hätte sie mindestens 25 Kilogramm auf die Waage gebracht. HOHBERG verwechselte im Gegensatz zu GASTON PHEBUS die Katze nicht mit dem Luchs, denn über diese Wildart berichtete er in einem separaten Kapitel. Auch TÄNZER, ein Klassiker der barocken Jagdliteratur, berichtete in "Der Dianen Hohe und Niedere Jagd-Geheimnisse" , dass Wildkatzen "wol 2 oder 3 mal größer und schwerer als die Zahmen" seien. Die Jäger des 19. Jahrhunderts glaubten gerne, was die einschlägige Fachliteratur zu berichten wusste: Die Wildkatze sei eine Bestie, welche die Wildbahn vernichte. Das ihr zugedachte Beutespektrum reichte von den Rebhühnern, Fasanen und Birkhühnern über Rehe, junge Gämsen, Frischlinge und Damwildkälber bis zu den Rotwildkälbern. Nur benebei wird erwähnt, dass sie auch Mäuse annehme. Ihre Schädlichkeit reicht daher weit über die des Fuchses hinaus. JESTER fügte noch hinzu, dass sie im Winter auch ältere Rehe reiße, die sie, ähnlich wie der Luchs, durch einen Nackenbiss töte. Für Angaben über Gefährdungen des Rehwildes waren die Jäger in der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders sensibel, denn damals war diese Wildart durch Übernutzung beinahe ausgestorben. Die Abbildungen in der Jagdliteratur zeigten die Wildkatze auf Bäumen lauernd oder zusammen mit einem gerissenen Hasen bzw. Fasan. Die Hege der beliebten Fasanen kostete die Adeligen Unsummen von Geld, weshalb diese exotische Wildart damals noch zur Hohen Jagd zählte. Katzen klettern nur auf Bäume, wenn es sich lohnt. Bei Hochwasser können sie so überleben . und auch wenn sie bejagt werden, retten sie sich oftmals vor dem Hund auf einen Baum. Die Jäger kannten das scheue Tier fast nur von solchen Situationen, weshalb sie annahmen, dass Katzen von den Bäumen aus ihre Beutetiere belauerten. In der Weidmannssprache wurden sie daher auch "Baumreiter" genannt. Beliebt waren damals bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Darstellungen des Raubwildes, das gefangen im Schlageisen hing. Auch ein Analphabet konnte so leicht lernen, was er von der Katze wissen sollte. RIESENTHAL machte dies auf folgende Weise deutlich: "Die Jagd auf die wilde und die verwilderte Katze ist Ehrensache des Jägers. Auf ihre ja immerhin anzuerkennende Mäuservertilgung hat er überhaupt keine Rücksicht zu nehmen." Das Misstrauen der Jäger gegenüber der Wildkatze erreichte ihren Höhepunkt.

Ausgerottet, aber noch immer gefürchtet

Bis zum Ersten Weltkrieg bezahlten die Behörden in vielen Ländern Mitteleuropas noch Fang- und Abschussprämien, die Jagd auf das Raubwild wurde intensiviert. Da auch die anerkannten Spezialisten der "Jagdzoologie" immer wieder die Schädlichkeit der Wildkatze betonten, hatten die einfachen Jäger wohl keinen Grund, an diesen Aussagen zu zweifeln. Jeder Abschuss und jeder Fangerfolg wurden mit einer Prämie belohnt, sodass der glückliche Weidmann stolz auf seine Leistungen im Interesse der Landbevölkerung und der Niederwildhege sein konnte. Der Abschuss der Katzen gelang nur zufällig, wesentlich erfolgreicher war die Fangjagd. Seit dem Barock hatten die Jäger auch Eisenfallen (Schwanenhälse, Tellereisen) zur Verfügung. Diese waren aber sehr teuer, sodass nur das Jagdpersonal der Adeligen solche Fangeisen einsetzen konnte. Wildtiere lernen, mit dem ständigen Jagddruck umzugehen. Die mehr vertrauten Exemplare der Wildkatze waren längst der Wildbahn entnommen wurden. Nur die vorsichtigeren, besonders misstrauischen Tiere überlebten und pflanzten sich erfolgreich fort. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Wildkatze aber in weiten Bereichen Mitteleuropas bereits ausgerottet.

Die Wildkatzen waren nun zwar weitgehend verschwunden, aber das Misstrauen gegen sie wra größtenteils geblieben. Noch 1931 meinten die jagdlichen Klassiker RAESFELD und SILVATAROUCA: "Wegen ihres großen Schadens, den sie durch ihren Raub der Jagd zufügt, wird sie (die Wildkatze) mit aller Macht verfolgt und genießt keine Schonung. Ihre heimliche Lebensweise und große Vorsicht haben sie aber bis heute vor der Vernichtung geschützt." Erst ab 1934 wurden mit dem Deutschen Reichsjagdgesetz auch Schonzeiten für Raubwildarten eingeführt, in anderen Ländern kamen Schonung oder Schutz für die Wildkatze erst in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. In Niederösterreich hatte man die letzten Exemplare 1904 und 1907 erlegt, spätere Beobachtungen und Fänge betreffen vermutlich zugewanderte Tiere. In Ländern, in denen Großraubwildarten, wie Bär, Wolf und Luchs, bis heute überlebten, nimmt man diese Tiere gelassen zur Kenntnis. Man hat gelernt, mit solchen Arten zusammenzuleben. Dagegen sind in Bereichen, wo diese scheuen Tiere schon lange ausgerottet wurden,, Misstrauen und Furcht besonders groß. Das trifft auch auf die Wildkatze zu, die wir durch massive Verfolgung zu einem scheuen, misstrauischen Tier geprägt haben, obwohl schon jedem Schulkind bewusst ist, das Katzen vorrangig von Mäusen, Kleinsäugern und kleinen Vögeln leben.

Seltsam erscheint uns eine ambivalente Aussage in Franz STARITZBICHLERS Buch "Geheimnisvolles Raubwild", das 1969 erschien, als die Wildkatze hier schon lange verschwunden und seit ein paar Jahren auch ganzjährig geschont war. Wir lesen da: "Da es meist Zufall ist, wenn der Jäger auf dieses äußerst seltene Tier trifft, das schon deswegen nicht bejagt werden soll, wird durch einen raschen Schuss ein Erfolg möglich sein." Das noch immer vorhandene große Misstrauen belegen auch die Ergebnisse einer anonymen Fragebogenaktion, die vor wenigen Jahren mit Jägern in typischen Niederwildrevieren Österreichs durchgeführt wurde. Die Hälfte der befragten Revierinhaber lehnte eine Wiederansiedlung der seit mehr als 100 Jahren ausgerotteten Wildkatze ab. Etwa ein Drittel der Jägerschaft würde sich mit einem derartigen Projekt abfinden und nur ein Achtel sprach sich dafür aus, dass diese schöne Wildart hier wieder heimisch werden sollte.

Im Nordosten von Österreich, also dort, wo die Wildkatze gerade versucht, alte Lebensräume zurückzuerobern, liegen die klassischen Niederwildreviere. Aber die moderne Landwirtschaft hat hier für Hasen, Rebhühner und Fasane kaum Lebensräume übrig gelassen. Manche Jäger meinen, sie könnten alleine durch das Kurzhalten des Raubwildes wieder größere Niederwildstrecken erreichen, wie diese noch vor Jahrzehnten erzielt wurden. Es wird daher in vielen Bereichen zu Beginn des Winters gemeinsame Ansitze zum Abschuss von Raubwild und Raubzeug organisiert. Dabei werden die Beutestücke oder deren Bälge meist nicht verwertet, obwohl sie zu dieser Zeit qualitativ am besten wären. Bei diesen Aktionen handelt es sich also nicht um Jagd, sondern nur um die Bekämpfung und Vernichtung von Wild- und Tierarten, denen wir Jäger misstrauen. Bei diesem Eifer für eine falsch verstandenen Hege erscheint es mir leicht möglich, dass auch Wildkatzen spurlos verschwinden, ob sie nun von selbst wieder zu uns kommen oder im Zuge eines Wiederansiedlungsprojektes in die freie Wildbahn entlassen werden.

Wir Menschen gehören zu den erfolgreichsten Arten der Erde, denn unsere Population wächst noch immer exponentiell, also in ständig zunehmendem Maß. Unser Misstrauen gegenüber Raubwild, insbesondere gegenüber Wildkatzen, ist unnötig, denn wir haben es in der Hand, ob diese Art in Zukunft überleben kann. Dagegen erscheint das in Koevolution mit dem jagenden Menschen erworbene Misstrauen der Raubwildarten angebracht, damit sich diese weiterhin in einer feindlich gesinnten Umwelt behaupten können.

Erstabdruck: St. Hubertus, 10/2015, S. 40-45