Von Volker Seifert

Joseph Haydns (* 31. März oder 1. April 1732 in Rohrau, Erzherzogtum Österreich; † 31. Mai 1809 in Wien) Symphonie Nr. 73 in D-Dur, unter dem Beinamen „La Chasse“ bekannt, entstand in den Jahren 1782 bis 1785 für den Hof von Fürst Nikolaus Esterházy und ist weit mehr als eine bloße musikalische Darstellung einer Jagdszene. Sie ist ein kunstvoll komponiertes Spiegelbild der höfischen Jagdkultur des späten 18. Jahrhunderts, die in der europäischen Aristokratie nicht nur sportliche, sondern auch gesellschaftliche und zeremonielle Bedeutung besaß. Haydn versteht es, die Dynamik, Dramatik und Eleganz der Jagd in musikalische Form zu übersetzen und so eine klangliche Parallele zu den höfischen Jagdfesten zu schaffen.

Die Symphonie eröffnet mit einem Allegro in Sonatenform, in dem die Hörner das charakteristische Jagdmotiv einführen. Schon in den ersten Takten entsteht die Illusion einer lebhaften Jagdszene: die Streicher treiben die Handlung voran, während die Bläser die Rufe der Jäger und das Treiben des Wildes imaginär erklingen lassen. Durch geschickte thematische Wiederholungen und polyphone Einwürfe vermittelt Haydn nicht nur Bewegung, sondern auch die Spannung, das strategische Vorgehen und die rhythmische Präzision, die eine höfische Jagd auszeichnen.

Im Andante, dem zweiten Satz, kontrastiert die Musik die lebhafte Szenerie mit einer ruhigen, lyrischen Variation. Hier lässt sich die Jagd nur noch indirekt erahnen – als Moment der stillen Beobachtung, ein Innehalten im Wald, das die natürliche Schönheit der Umgebung und die feinsinnige Balance zwischen Mensch und Natur betont. Haydn zeigt, dass Jagd nicht nur Aktion, sondern auch kontemplatives Naturerleben war, wie es die aristokratischen Höfe ihrer Zeit pflegten.

Das Menuett des dritten Satzes verbindet tänzerische Eleganz mit höfischem Anstand und stellt die Jagd in ihrem gesellschaftlichen Kontext dar. Die Hörner und Holzbläser erinnern subtil an den Wald und das Treiben der Meute, während die rhythmische Struktur die höfische Etikette und das Zeremoniell der Jagdfeste reflektiert. Die Musik vermittelt somit nicht nur die körperliche Aktivität, sondern auch den sozialen Rahmen, in dem die Jagd stattfand.

Im rasanten Presto-Finale erreicht die Symphonie ihre volle programmatische Wirkung. Treibende Rhythmen, staccato-Streicher und die Hornrufe erzeugen das Bild einer Hetzjagd in voller Bewegung. Haydn nutzt Sequenzen, thematische Wiederholungen und kontrapunktische Passagen, um die polyphone Kunst des Barock in die spätklassische Form zu integrieren. Der Schlussjubel vermittelt die triumphale Freude über den erfolgreichen Ausgang der Jagd – zugleich ein Hinweis auf die Repräsentation von Macht, Geschicklichkeit und Kontrolle, die Jagd und höfisches Leben verband.

Haydns „La Chasse“ ist somit nicht nur ein musikalisches Werk, sondern ein kulturelles Dokument: Sie spiegelt die Verbindung von aristokratischem Zeremoniell, Naturbeobachtung und musikalischer Kunstfertigkeit wider. In dieser Symphonie wird die Jagd zur orchestralen Erzählung, die Bewegung, Spannung und soziale Bedeutung zugleich vermittelt. Bis heute fasziniert sie Zuhörer durch ihre lebendige Darstellung von Natur und Handlung, durch die raffinierte Polyphonie und Haydns meisterhafte Fähigkeit, Musik, gesellschaftliches Ritual und Naturerlebnis zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk zu verschmelzen.