Von Gert G. von Harling
Allzeit guten Anblick hatte mal eine andere Bedeutung
Saumäßig wenig Zeit - Zeit ist Geld
Die Jagd war immer ein Spiegel der Gesellschaft. In der Feudalzeit des Mittelalters musste alles aufwendig, pompös sein. So waren auch die Jagden organisiert - prunkvoll und luxuriös. Im Dritten Reich wurde großer Wert auf Herkunft, Rasse und Rekorde gelegt, der Trophäenkult rückte in den Vordergrund, und im Arbeiter- und Bauernstaat war die Jagd in erster Linie den Funktionären vorbehalten. Heute darf jeder, der einen gültigen Jagdschein besitzt, dabei sein, und alles soll effektiver, wirtschaftlicher, rentabler sein, auch Freizeit und Jagd werden entsprechend geplant. Glücklich der Schütze, der seine Aktivitäten nicht mehr nach dem Mondkalender richten muss. Er kann, wann immer er Lust verspürt, unabhängig von den mondbeschienenen Nächten, das Feuer auf die Kreatur auf dem Bildschirm eröffnen. Die Schweinesonne scheint das ganze Jahr hindurch, erhellt auch die dunkelste Nacht. Diese zeitliche Flexibilität sowie mangelnde Ausdauer, ungenügende körperliche Fitness, Konzentration, Erfahrung, Zurückhaltung kompensieren die in militärische Camouflage gekleideten Schützen mit Technik.
Jeder Mensch hat 24 Stunden Zeit, jeden Tag. In der Woche sind das 168 Stunden, 8.760 im Jahr. Tag für Tag steht jedem dieselbe Menge an Zeit zur Verfügung. Zeit ist vergänglich. Die Zeit von gestern ist unwiederbringlich vergangen, die von morgen ist ein Kapital, mit dem man wuchern sollte, auch wir Jäger. Unsere Passion erfordert Erfahrung, Geduld und vor allem sehr, sehr viel Zeit. Manche Nimrode nehmen sie sich nur an Wochenenden, um zu „jagen“. Ausschlaggebend für eine Gesellschaftsjagd oder den nächsten Ansitz ist der Terminkalender des vielbeschäftigten Freizeitjägers, und nicht, ob der Zeitpunkt mit den Bedürfnissen der Wildtiere konveniert. Zwar sind Kenntnisse über die Biologie und das Verhalten des Wildes und seine Fähigkeiten sich auf verändernde Lebensbedingungen und Umwelteinflüsse ein- und umzustellen größer geworden, aber es wurden auch zahlreiche technische Hilfsmittel entwickelt, mit denen dem Wild nachgestellt werden kann. Auf die wenigen Vollmondnächte im Jahr zu warten ist vielerorts passé. Fähigkeiten wie zeitaufwändiges Beobachten und das Wild im wahrsten Sinne zu überlisten, gehen verloren. Manche Jäger rasen unter Zeitdruck ins Revier, um den Abschussplan pflichtgemäß zu erfüllen. Früher hieß es: „Ich habe noch drei Ricken frei“, heute wird gestöhnt: „Ich muss noch drei Ricken schießen“, es geht um Abschusserfüllung, nicht um Jagen. Hinzu kommt Druck politischer Ideologen, die plötzlich feststellen, dass Wildtiere auch Hunger haben, sich von Pflanzen ernähren, dadurch wirtschaftliche Erträge in der Land- und Forstwirtschaft reduzieren und nach dem Motto „Wald vor Wild“ höhere Abschussquoten fordern.
In unserer schnelllebigen Zeit können sich immer weniger Jäger den spannenden und entspannenden Luxus gönnen, mehr über Altersstruktur oder Geschlechterverhältnis des ihnen anvertrauten Wildes zu ergründen, eine Rotte Schwarzwild, ein Dachsgeheck oder eine Ricke mit ihrem Kitz über mehrere Wochen hinweg zu beobachten und Rückschlüsse daraus zu ziehen. Tritt eine Sau oder ein Jährlingsbock aus, schnürt ein Fuchs vor der Kanzel entlang, wird sofort zur Waffe gegriffen, der Blick durchs Fernglas ist out.
Nach einer Neuen Sauen zu kreisen, ihnen mit dem Hund in die Einstände zu folgen, wird kaum noch praktiziert – Zeitnot. Geblieben sind Drückjagden, die mitunter mit zahlreichen Schützen und Hunde zu gesellschaftlichen „Schießevents“, bei denen die jagdhandwerklichen Fähigkeiten der Beteiligten oft verbesserungswürdig sind, ausarten.
Zahlende Gäste degradieren sich zu Erfüllungsgehilfen eines Jagdherrn, der unfähig ist, den Abschussplan sonst zu erfüllen.
Hektisch organisierte Maisjagden auf durch Drohnen festgemachte Sauen und Ansitze auf, von Wildkameras bestätigte, auf das Smartphone gemeldete Rotten sind eine andere Alternative, die weniger kostbare Zeit in Anspruch nehmen. Freizeitfreundliches Jagen ist angesagt. Aktives Jagen weicht fantasielosem, passivem Warten in isolierten Kanzeln an der Kirrung. Und der Einsatz von Nachtzieltechnik und Drohnen besitzt zweifelsohne ein hohes sowie verlockendes Missbrauchspotenzial - Gelegenheit macht schließlich Diebe - wenn ein passendes Stück Reh- Dam- oder Rotwild erscheint, kann bequem auch noch der restliche Abschuss erfüllt werden, das Revier ist ja sowieso beunruhigt.
Betroffen ist also nicht immer nur das vornehmlich bejagte Schwarzwild, der Äsungs- und Wiederkäuerzyklus anderer Schalenwildarten und die Nachtruhe vieler weiterer Tiere werden zusätzlich gestört.