Von Gert G. von Harling

Allzeit guten Anblick hatte mal eine andere Bedeutung

Wild hat ein Recht auf Ruhe

Wärmebildkameras, Restlichtverstärker, Nachtsicht- und Nachtzielgeräte, Verzeihung: „Wildbeobachtungsgeräte“, bringen enorme Unruhe ins Revier und sind, auch ausschließlich zum Beobachten eingesetzt, unbarmherzige Instrumente gegen das Ruhebedürfnis aller Tiere des Waldes. Zudem läuft jegliche Bejagung von wiederkäuendem Schalenwild mit Hilfe der Nachtsichttechnik dem Ruhebedürfnis allen Arten und dem Tierschutz zuwider. Die Dunkelheit als Schutzraum für das Wild ist ein natürliches Intervall, ein Ordnungsmerkmal der Schöpfung, das der Mensch zu achten hat. Werden dem Wild Rückzugsgebiete, Ruhe und Sicherheit geboten, wird es nicht zum Nachtwild, wird nicht „unsichtbar“, Kulturen und Waldverjüngungen würden nicht zu Notstandsgebieten.

Eine von cleveren Marketingexperten hochgelobte „zeitgemäße“ Ausrüstung - gigantische Zoom-Zielfernrohre mit integrierten Entfernungsmessern, Absehen Schnellverstellungen, rasante Weitschusskaliber, die Schüsse auf früher unerreichbare Entfernungen ermöglichen und die natürliche Fluchtdistanz des Wildes vergrößern, eröffnen Möglichkeiten, die vor wenigen Jahrzehnten unmöglich waren. Dem technikgläubigen Nimrod wird suggeriert, durch diese Ausrüstung seien „waidgerechte Weitschüsse“ möglich. „Weit“-gerechte Schüsse aber gibt es nicht.

Jeder Schuss ist zahlreichen ballistischen und physikalischen Regeln unterworfen. Ein Treffer wird von der Witterung, der Kondition des Schützen und des Wildes sowie vielen anderen Faktoren beeinflusst. Zudem gelten auf dem Schießstand andere Bedingungen als im Revier beim Schuss auf Wild.

Nachtjagd ist in Südtirol generell verboten, und wird jemand beobachtet, wenn er weiter als 350 Meter auf Wild schießt, verliert er für mehrere Monate seinen Jagdschein. In Graubünden durfte bis vor einigen Jahren nur mit einem Zielfernrohr jagen, wer das fünfzigste Lebensjahr vollendet hat. Im Engadin ist das zulässige Mindestkaliber auf Gams- und Rotwild 10,3 Millimeter, und im Berner Oberland darf die Schussentfernung auf Wild 220 Meter nicht überschreiten, was durch die Ordnungshüter auch kontrolliert wird. Respekt vor den Eidgenossen, sie sind wirkliche Jäger, müssen ihr Handwerk verstehen, müssen "jagen" können, um Erfolg zu haben, und den haben sie auch ohne übertriebene technische Hilfsmittel.

Ausspruch eines im Pulverrauch ergrauten Nimrods: „Zwischen einem geübten Jäger und einem trainierten Kunstschützen liegt ein himmelweiter Unterschied“.

Wenn die Nacht zum Tage wird

Reviere, in denen Jäger die Nacht zum Tage machen und in tiefster Finsternis Unruhe verbreiten, meidet Wild, auch wenn es dunkel ist, ebenso freie Äsungsflächen, auf die es normalerweise bei Einbruch der Dämmerung tritt. Es wird noch heimlicher, sucht nach Äsung im Wald, Schälschäden sind die unerfreuliche Folge.

Wagt sich ein Stück dennoch hinaus, so haben Wissenschaftler im österreichischen Pinzgau erforscht, weist es eine erhöhte Herzfrequenz auf, die einen höheren Energieverbrauch, höhere Nahrungsaufnahme sowie mehr Wildschäden zur Folge haben. Herzfrequenz und Stoffwechselrate hängen eng zusammen.

Jäger schieben die Folgen ihrer Unzulänglichkeiten gerne anderen in die Schuhe: dem Fuchs den Rückgang der Niederwildbesätze, der intensiven Landwirtschaft die Übervermehrung der Sauen. Dass Wild heimlicher wird, liegt an Spaziergängern, heißt es dann, nicht am Jäger, der wann immer es ihm beliebt, ohne Rücksicht auf das Ruhebedürfnis und Gewohnheiten des Wildes, Tag und Nacht im Revier herumschleicht. Ist entspannte, störungsfreie Äsungsaufnahme auf Wiesen, Wildäckern, Feldern nur bei Dunkelheit möglich, da es wegen permanenter Störungen nicht austreten kann, wird das Wild notgedrungen nachtaktiv, tut sich tagsüber in Dickungen gütlich, Schäden sind programmiert. Der Mensch trägt mit seinen egozentrischen, ja sogar rücksichtslosen Aktivitäten, hierzu zählt auch die Jagd, dazu bei.

Wild ist an eine bestimmte Äsungsmenge und -qualität gebunden und muss, um zu überleben, einen zeitlich festgelegten störungsfreien Rhythmus aus Äsungssuche, Äsen, Wiederkäuen und Ruhen einhalten. Weil das in vielen Revieren durch mannigfaltige menschliche Beunruhigungen nicht möglich ist, unterliegt es einem enormen Stress.

Herrscht (Jagd)ruhe wird es tagaktiv und kann bei gutem Licht erlegt werden. Je weiter sich jagdliche Aktivitäten in die Nacht ausdehnen, desto höher wird die Belastung für Wildtiere, umso heimlicher, misstrauischer, „unsichtbarer“ werden sie, was die Abschusserfüllung erschwert und noch mehr Aktivitäten zur Erlegung und damit eine Zunahme von Unruhe durch den Jäger im Revier nach sich zieht – ein unseliger Kreislauf.

In Deutschland wird es schon bald mehr als 500.000 Jagdscheininhaber geben. Durchschnittlich wird dann ein 500 Hektar großes Revier von mindestens zehn jagenden Personen beunruhigt. Verantwortungsvolle Jäger klärten früher erholungssuchende Menschen über die Folgen störender Aktivitäten in der Natur auf, heute stellt sich mancher Waidmann mit der permanent freizeithungrigen Bevölkerung auf eine Stufe.