Von Gert G. von Harling
Allzeit guten Anblick hatte mal eine andere Bedeutung
Bei Anruf Mord
„Bei Anruf Mord“, nannte der Redakteur einer Jagdzeitschrift diese Entwicklung, als Wärmebildkameras in Verbindung mit Telefonen in Deutschland aufkamen, es ist an einem Kirrplatz verhältnismäßig einfach, eine Sau zu schießen, auch nachts – eine Sau von einer Kanzel aus schießen kann jeder, kaum ein Jäger aber kann noch eine am Leben lassen.
Wild ist, wie erwähnt, mit leistungsstarker Optik relativ unproblematisch anzusprechen. Es herrschen zwar über das Für und Wider von automatischen Wildkameras und Nachtsichttechnik differenzierte Ansichten - sie sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt - wir nehmen den Waldbewohnern aber in jedem Fall ihre letzte „Privatsphäre“, wenn wir auch noch bei Dunkelheit versuchen in ihr geheimes Leben einzutauchen.
Die Moral vieler Jäger, die Ethik ursprünglichen Waidwerks, ist in einem unaufhaltsamen Wandel begriffen, und die Jagd hat bereits einen denkbar schlechten Ruf in der Öffentlichkeit. Ihre Zukunft sowie das Ansehen der Jäger stehen und fallen mit der Akzeptanz durch die Mehrheit der Bevölkerung. Viele Zeitgenossen sehen Jagd als einen Akt der Barbarei, Jagdgegner bezeichnen sie gar als „pervertiertes Kammerjägertum“, bestimmte Kleidung und Ausrüstung als mörderische Kriegsinstrumente. Bei Licht betrachtet sind viele Argumente der Anti Jagdlobby nur schwer zu entkräften, und wir müssen uns bemühen, in einer Gesellschaft, die immer mehr verstädtert, Verständnis für unsere Bemühungen zu wecken. Das ist mit paramilitärischem Auftreten schwierig.
Weniger Technik wagen - Wieviel Technologie verträgt die Jagd?
Die Natur ist in Deutschland täglich 24 Stunden lang geöffnet. Unsere Spaßgesellschaft kann 365 Tage im Jahr fast uneingeschränkt ihren Freizeitaktivitäten nachgehen, ob gedankenloses Querfeldeinreiten, Geocatchen, Crosscountry Nachtwandern, Wildbeobachten, Campen, Pilze- oder Beerensammeln, ob Orientierungsmärsche oder Hundespaziergänge. Viele Jäger reihen sich in diesen Marsch der „Wildstörer“ ein. Galt es früher als waidmännisch, höchstens in hellen Mondnächten im Winterhalbjahr auf Schwarzwild und Fuchs zu waidwerken, ist diese Selbstbegrenzung nicht mehr populär. Die Entwicklung optischer Geräte erlaubt es den Jägern schließlich, dem Wild, ob bei Vollmond, ob bei Neumond, seine Ruhe zu rauben. Ausgeklügelte Optik ermöglicht es dem wackeren Weidmann bei schlechtem Licht und in jeder Nacht des Jahres auf Wild zu schießen. Einfach zu bedienende Apps mit Ballistik Rechnern und Windprüfern werden nicht nur von ehrgeizigen Sportschützen genutzt, um bleifreie Hightech Geschosse auf die Reise zu schicken, vor Gesellschaftsjagden starten mitunter Quadrocopter, um in den Tageseinständen, in Dickungen und Maisschlägen Wild zu bestätigen und zu beunruhigen. Wozu werden noch erfahrene Treiber oder Hunde gebraucht?
Vom ritterlichen Wild zum lästigen Schädling
Wir Jäger haben bei Sauen im Vergleich zu anderen Wildarten einen großen Freiheitsspielraum. Von der führenden Bache abgesehen haben Sauen ganzjährig Jagdzeit und bezüglich des Abschusses können wir ohne behördlichen Abschussplan über Geschlecht oder Altersklasse selbst entscheiden. Manche Jäger sprechen vom „Ritterlichen Wild“, behandeln sie aber wie Schadwild.
Schwarzwildbestände wird man allein durch Technik nicht in den Griff bekommen. Die Gründe der Vermehrung liegen nicht nur an der Ineffizienz der Jagd.
An der Kirrung im Wald kann der Bestand aber nicht merklich reduziert oder größerer Schaden verhindert werden, wenn aus einer Rotte lediglich eine Sau erlegt wird. Einen Nachweis, dass Nachtjagd an der Kirrung ein adäquates Mittel zur nachhaltigen Bestandsverringerung ist, gibt es jedenfalls nicht. In urbanen oder landwirtschaftlichen Problemgebieten musste und muss deshalb mitunter auch nachts auf Schwarzwild gejagt werden. Diese Jagd darf aber nicht zu Schädlingsbekämpfung mutieren.
Es gab schon einmal ein „Schwarzwildproblem“. Als nach dem letzten Krieg Schusswaffen von den Alliierten beschlagnahmt, Jäger quasi enteignet wurden - Besitzern von Jagdwaffen drohte die Todesstrafe – wurden Sauen zur Plage. Spartanisch ausgerüstet musste der Vermehrung mit primitiven Mitteln begegnet werden. Dazu gehörten Kenntnisse über die Biologie von Sauen, Passion, Einfühlungsvermögen und sehr, sehr viel Zeit, die wir heute oft nicht haben.
Es klappte, weil sich die Jäger Zeit nahmen, nehmen mussten, Einstände, Wechsel, Eigenarten des Wildes ohne Hochtechnologie zu erkunden. Doch es ist bequemer, sich eine 14-tägige Safari oder die Teilnahme an einer Drückjagd zu kaufen, wo Abschüsse garantiert werden, als ein Revier zu pachten, Verantwortung zu übernehmen, Hegeringversammlungen zu besuchen und viel Zeit zu opfern.
Das Jagen, speziell das Schwarzwildproblem ist auch ein Problem schwindender Waidgerechtigkeit, fehlenden Respektes gegenüber der Kreatur und ein Zeitproblem geworden, das viele Jäger durch technische Finessen kompensieren. Abkehr von einer Bekämpfung zurück zu gekonnter und bewährter Bejagung wie durch das Lüneburger Modell (ein Hegekonzept für Schwarzwild, das kaum noch angewendet wird), würde das „Sauenproblem“ „entschärfen“.
Gerechtfertigt werden „notwendige, zeitgemäße“ Errungenschaften, mit denen den Schwarzkitteln auf die Schwarte gerückt wird, stattdessen mit ausufernden Beständen. Die Gründe der Vermehrung liegen aber nicht nur an der Ineffizienz der „klassischen“ Bejagung. Sie sind vielfältig. Riesige Maiskulturen - der Klimawandel sorgt zudem mit häufigen, intensiven Baummasten für tonnenweise energiereichen Fraß, der von Sauen effizient in Reproduktion umgesetzt wird - und Zerstörung intakter Familienstrukturen. Alte Keiler und Rotten, in denen Leitbachen bestimmen, wer wann von wem beschlagen wird, sind nicht mehr häufig.
Stellt man Sauen ohne Rücksicht auf Ruhebedürfnis, Lebensrhythmus und Sozialgefüge nach, ist nicht verwunderlich, wenn sie ihre Gewohnheiten auf die Bejagung umstellen und - sie sind in ihrem Ursprung tagaktiv - heimlicher werden. Auch Seuchengefahr, Verlagerung der Rauschzeiten und unnatürlich hohe Vermehrungsraten sind meistens auf verfehlte Bejagung zurückzuführen. Manche Waidmänner halten Spitzentechnologie sowie den Einsatz von Hightech dagegen und ziehen für ein Vorsatzgerät bis zu 10.000 Euro aus der Lederhose. Nicht Können, sondern Investitionen werden für den Erfolg ausschlaggebend. Jagen wird zwar planbarer und einfacher aber sicherlich reizloser.
Viele Zeitgenossen vergessen dabei, dass die spärliche Restnatur, die uns in Europa geblieben ist, kein Vergnügungspark, kein „Sportgerät“ ist. Unsere Wirtschaftswälder und landwirtschaftlich genutzten Flächen sind im Sinne der Evolution keine ursprüngliche Natur, aber immer noch komplexe, empfindliche Ökosysteme, zu denen untrennbar Tiere gehören. Ihnen werden durch ständige Beunruhigungen dauerhafte Schäden zugefügt, mit zunehmender Technisierung der Jagd während der Nachtstunden sind sie permanentem Stress ausgesetzt.
Tragfähige Schwarzwildbestände konnten und können aber auch heute noch mit etablierten jagdlichen Methoden erreicht werden. Finden Sauen entsprechende Ruhezonen, ausreichend Naturfraß, Wühlmöglichkeiten, Suhlen, Tränken sowie ungestörte Einstandsbereiche vor, werden sie sich schnell wieder vom Nacht- auf Tagwild umstellen, und man kann sie bei Tageslicht beobachten.