Von Wildmeister Dieter Bertram

Den ersten Wintereinbruch hatten wir bereits im November mit 30 cm Neuschnee. Ein warmer Südwind ließ die Pracht wieder schmelzen, doch nun ist es frostig geworden, selbst die Bäche sind gefroren. Am 3 Advent geht bei den Kindern gleichermaßen wie bei Erwachsenen die Frage um, gibt es wohl eine weiße Weihnacht? Neben diesen „Weltproblemen“ ergibt sich für mich die Frage, haben wir an den Festtagen Rehrücken oder etwa Gekauftes?

Die Schalenwildabschüsse sind im Wesentlichen erfüllt, die Rüben sind lange eingebunkert und müssen nur gelegentlich gelüftet werden, damit sie nicht verhitzen und schimmeln.

Wir haben Zeit.

Bis in den späten Vormittag bummeln mein Lehrling und auch ich durch`s Revier, sehen uns die Wildäcker an, die großen Rapsschläge und freuen uns an den Massenträgern von Topinambur.

Unsere Jägerwelt ist in Ordnung, wir erwarten die Hegemonate genau so wie den Aufgang der Jagdzeit. Nur meine Deputatricke, die habe ich noch nicht, bei all den Rehen, die wir geschossen haben. Die Deputatricke ist nicht irgend ein Reh. Sie muss jung, von besonders guter Qualität sein, sie soll abgehangen, nicht gefroren, zu Weihnachten das Beste sein, was wir unseren Familienangehörigen zu bieten haben. Ich nehme es ernst, seit nunmehr 14 Tagen übertrieben wählerisch zu sein, bei meinem Reh.

Vorgestern das Stück im Feld war mir zu weit und gestern begegnete mir am späten Vormittag die Ricke mit den beiden starken Kitzen, die wir alle drei geschont hatten.

Meine Frau sparte nicht an spitzen Bemerkungen, mit dem Weihnachtshasen, das sei in den letzten Jahren nichts geworden, ein Reh bereite wohl auch Schwierigkeiten, zur Zeit würde im Kaufhaus günstig argentinisches Rotwild angeboten, wir hätten wahrscheinlich unseren Abschuss überzogen.

Ich war in so guter Vorweihnachtsstimmung, ließ mich nicht reizen und versprach meiner Frau, die Deputatricke sehr ernst zu nehmen. Von der Geschäftigkeit in diesen Wochen verabschiedete ich mich, zog mit dem Hund in die Jagdhütte und wollte nicht eher nach Hause kommen, bis das Festmahl, an einem Tag der Rehrücken, an dem folgenden Tag ein Gulasch, gesichert war.

Sie war kalt und muffig, die Hütte, als ich sie am Spätnachmittag aufschloss. So, wie ich alte Jagdhütten liebe, mag ich auch ihren eigenen Geruch von Holz und ungelüfteten Räumen. Läden und Fenster aufstoßen, das sind immer die ersten Arbeiten. Auch der Langhaar scheint sich auf unseren Aufenthalt zu freuen.

Er steckt seine dicke Nase in den Holzstapel, prustet kräftig und kontrolliert den Baum, an dem gelegentlich der Pansen hängt, mit dem ich ihn füttere. Die Wintertage sind kurz und es wird dunkel darüber. So sitze ich am rohen Holztisch bei Kerzenlicht, einem nicht gerade kleinen Stück lufttrockener Mettwurst, Brot und einer Flasche Bier. Ich sehe und höre das Holz im Ofen knallen und frage mich nach meinen Wünschen.

Ich habe keine.

Spät komme ich morgens vom Ansitz und verbringe den Tag damit, Späne zu hacken, die Hütte zu heizen, Holz und Wasser zu holen, in einem Buch von Peter Rosegger zu lesen und in alten Jagdzeitungen zu blättern, die in meiner Kindheit schon 50 Jahre alt waren. Jagdzeitungen, die heute anders geworden sind, haben mich ein Leben lang begleitet, in der Jugend inspiriert.

Die Wildfotografie stand noch in den Kinderschuhen, es war die Zeit der Jagdmaler, mit denen die Zeitungen illustriert waren. Dokumente sind es, bis zur Zigarrenwerbung, bei denen Förster und Berufsjäger 15 % Rabatt bekamen und 10 gute Marderbälge ausreichten, um einen Drilling zu kaufen.

Um Mitternacht werde ich von lautem Poltern geweckt, als wollte der Leibhaftige in die Hütte. Einen Augenblick musste ich in stockfinsterem Zimmer nachdenken, wo ich war. Erneuter Lärm gab mir die Gewissheit, dass ein Fensterladen sich gelöst hatte und auf und zu schlug. Der Laden war wieder fest verzurrt, dabei stellte ich bei eisigere Kälte fest, dass der Sturm endlich die Wolken weg geweht hatte, ein sternklarer Himmel wölbte sich über der Hütte und der Mond stand klar über den schwarzen Fichten. Nach einer Stunde mache ich mich auf den Weg. Ich kenne einen Platz an einer Suhle. Eine nicht führende Ricke ging da mit einem alten Bock, auf den ich erfolgreich einen Jagdgast führte. Der Ricke, darüber hatten wir nachgedacht,sind vielleicht vom Fuchs oder den Sauen die Kitze geholt worden. Der Weg war bei dem gefrorenen Boden nicht so ganz geräuschlos, aber es war noch früh, als Hund und Jäger zum Ansitz kommen, bis zum Grau werden sicherlich noch eine Stunde Zeit. Schemenhaft und vertraut zieht ein Hirschrudel an mir vorbei, zu weit, zu dunkel um sie ansprechen zu können. Als die Sonne schon ein Stück hochgezogen ist, wird es noch einmal kälter.

Es taucht tatsächlich meine Ricke auf, die wir essen wollen. Der Wechsel führt 10 m an mir vorbei. Ich mag nicht warten, bis sie so dicht bei mir ist. Im Schuss bricht sie zusammen.

Ich bleibe noch sitzen und denke, wenn es mal so weit ist, dass Diana mir auch in einem unbedachten Augenblick einen Pfeil durch den Rücken schießen möge, um einem Siechtum zu entgehen. Das Jagen ist in stillen Revieren auch zum Meditieren geeignet. Ich breche meine Ricke auf, sauber und gesund ist sie im Innenbereich, die Nieren sind im Feist verschwunden. Im nahen Bach habe ich mir die Hände gewaschen, es hat sich schon dickes Randeis gebildet.

Ich buckel mir das Reh auf den Rücken, 20 kg wird sie wohl haben, nein es dauert mich nicht, dass sie so stark ist. Eine halbe Stunde habe ich noch zu gehen, große Flüge Bergfinken werden vor mir in den Buchen hoch.

Erst als ich weit im Dorf die Glocken höre, fällt mir ein, dass Sonntag und der vierte Advent ist.

Drei Tage habe ich keinen Menschen gesehen, nur mit meinem Hund gesprochen. Hungrig und etwas unausgeschlafen habe ich ein Weihnachtslied auf den Lippen.

Von weitem sehe ich die schmale Rauchwolke aus dem Hüttenofen in den klaren Winterhimmel aufsteigen, ein Bild, das einen nicht weiter suchen lässt nach einem besonders schönen Platz im Leben.

Mit Ricke und Weihnachtsbaum habe ich schon jetzt eine festliche Stimmung, fröhliche Weihnachten.