Fundstück von Volker Seifert

In einer Ausgabe der Zeitschrift "Bibliothek für alle" aus dem Jahr 1912 ist nachfolgender Hinweis auf jagdliche Mißstände zu finden:

Die Beziehungen sind viel enger, als gemeinhin angenommen wird. Wer es sich heute irgend leisten kann, läßt sich einen Jagdschein ausstellen, kauft sich ein Gewehr und geht auf die Jagd. Da wird denn allerhand geschossen und gar groß ist die Freude, wenn mal wieder „so ein verdammtes Raubvieh“ herniederpurzelt. Und doch sind viele Raubvögel dem Menschen weit mehr nützlich als schädlich. Der richtige Jäger schießt nur selten auf „Raubzeug“, desto mehr der typische Jagdscheinbesitzer, der nicht einmal die Raubvögel schont, die unter staatlichem Schutze stehen. Es besteht gar kein Zweifel daran, daß die gegenwärtige große Mäuseplage zum Teil der übermäßigen Schießerei in Feld und Wald zu danken ist. Sämtliche Eulenarten – wie viele Eulen gibt es eigentlich noch? – nähren sich in der Hauptsache von Mäusen, und die gefräßigen Vögel vertilgen eine Unmenge dieser Schädlinge, wo man sie am Leben läßt und nicht gar noch aus Aberglauben (Totenvogel und derartige Mätzchen) allgemeine Jagd auf sie macht. Ein Mäusebussard ist heute eine sehr große Seltenheit, der „Jagdscheinbesitzer“ preist sich daher um so glücklicher, wenn ihm einer in den Schuß kommt; dann steht am nächsten Tag vielleicht gar sein Name in der Zeitung. Gleich daneben aber wird die ständig zunehmende Mäuseplage besprochen, die in diesem Jahr ungeheueren Schaden im Feld anrichten wird. Wo sieht man noch den Turmfalken, der als „Mäusestößer“ früher jedem Bauernjungen bekannt war? Wer schätzt die Gabelweihe, die auf dem belebten Ackerfeld immer weniger zu finden ist? Den Hauptschaden der „Jagd von heute“ hat zunächst der Landwirt zu tragen, dem die Mäuse und anderes Getier förmlich den Boden unterwühlen, aber mit leiden muß jeder einzelne infolge Verteuerung der mißratenen Feldfrüchte. Man liest jetzt soviel vom Schutz der kleineren Vögel, man sollte auch mal an die nützlichen „Raubvögel“ denken!

 Leider ist der Verfasser der Zeilen nicht genannt.

Quelle: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang (1912), 5. Bd., S. 166–167