Sonnenschein über dem Sorbenland. Die Regenzeit hatte sich am 28. Mai, dem ersten Veranstaltungstag, mit einigen schnell östlich ziehenden Wolkenfetzen davon geschlichen und ließ nur ab und zu wie Tränen des Abschieds einige Tropfen aus ihren dahineilenden Schatten fallen.
Die natürliche Heiterkeit des Augenblicks schien sich auf die Gemüter der anreisenden Tagungsteilnehmer zu übertragen und verbreitete unter diesen das wohlige Gefühl, die Jahrestagung des FORUMS zum richtigen Zeitpunkt besuchen zu dürfen. Das Schlosshotel in Lübbenau war Tagungsort und Ziel der Reise. Sie führte die von Westen her anreisenden Teilnehmer über die Autobahn 10 nach Berlin und von dort weiter über die A 13 bzw. A 15 in Richtung Dresden. Etwa dort, wo die sorbische Kulturinsel vor Cottbus im Bundesland Brandenburg beginnt, liegt Lübbenau im Wurzelgeflecht der alten Spreearme.
Die Graue Eminenz in der Empfangshalle des Schlosshotels
In der Lounge des imposanten Schlosshotels musterte ein sportlich wirkender unauffällig erscheinender älterer Herr an jenem Tage eintreffende Tagungsteilnehmer und wechselte ab und zu mit einigen Neuankömmlingen unverbindlich freundliche Worte. Der Empfangschef also, so schien es, irgendeiner, der die Autorität besitzt, mitten unter den attraktiven jungen Damen des Hotelempfangs nach dem Rechten zu sehen und dafür zu sorgen, dass Contenance, Höflichkeit und Respekt für gute Atmosphäre sorgten. Nicht lange hielt er sich jeweils auf, verschwand ab und zu in einem Nebengelass des prunkvollen Hotels bis er sich plötzlich zum späten Nachmittag hin ganz "verkrümelt" hatte: Es war der Seniorgraf zu Lynar, Eigentümer des Schlosses und Herr über ausgedehntes Land mit Jagdrevieren im Reich der Lübbenauer Spreearme, wie man später erfahren konnte.
Mit Hörnerklang zum Tagungsauftakt
Kurz vor 14 Uhr, dem Tagungsbeginn, drang aus dem Schlosspark wenig abgestimmter Klang unterschiedlicher Jagdhörner zu den Hotelzimmern hinauf: Hornmeisterin Christel Zirnstein war mit 16 Bläsern der Jägerschaft Kahren eingetroffen und ließ proben. Sie ist die Chefin der Bläsergruppe und zugleich die einzige Berufsjägerin im Deutschen Berufsjägerverband.
Dr. Günter R. Kühnle, Vorsitzender im Vereinsvorstand des FORUMS, begrüßte Christel Zirnstein (links im Bild). Er bat die Hornmeisterin zur Eröffnung der Tagung um einen Begrüßungsauftritt der Bläser vor dem Hotelportal. Nicht alle Tagungsteilnehmer waren pünktlich angereist. Nur einige konnten sich deshalb durch das Hornkonzert "tagungstauglich" einstimmen lassen.
Für den Landesjagdverband Brandenburg begrüßte Präsidiumsmitglied Lutz Dolling die Tagungsteilnehmer. In einem anschließenden ausführlichen Vortrag würdigte er Jagdkultur als das geistige Bindeglied zwischen den Jägern und der Gesellschaft. Er hob die Bedeutung des FORUMS als die in Deutschland einzige jagdkulturell organisierte Institution hervor: "Wir brauchen Sie!". Forumsmitglied, Buchautor und Jagdhistoriker Erich Hobusch erfuhr dabei eine besondere Beachtung: Ohne Ihren nachdrücklichen Hinweis, so Lutz Dolling, hätte der LJV Brandenburg eine bedeutende jagdkulturelle Ausstellung (Die sperlingschen Hunde) nicht wahrgenommen.
Es folgten Autorenlesungen der Forumsmitglieder Erich Hobusch, Herbert Witzel, Jobst Schmidt, Heinz Staudinger und andere Autoren. Musikprofessor Dr. Bernhard Paul aus Wien referierte mit eindrucksvollen Beispielen zur Entwicklung der Musik aus dem Aspekt einer kulturevolutiven Wirkung von Jagdmusikinstrumenten auf die heutige Musik überhaupt. Die urzeitlichen Jagdhörner dienten der Verständigung innerhalb der Jägergruppe und hatten oft auch den Zweck, zur Wildhetze "anzurüden". Wie schon Aristoteles in Platons Tradition die Jagd als Form des Krieges keineswegs metaphorisch verglich, so kann man historisch die Fanfaren, Posaunen und Trompeten der kriegerischen Truppen seit der Antike, über Mittelalter bis in jüngste Neuzeit hinein mit dem gleichen Zweckinhalt zurück verfolgen. Es wird zu gern und zu schnell übersehen, dass Jagd und Krieg originäre Ausdrucksformen von Kultur sind, soweit sie das tierische Beutemachen übersteigen. Ein bekanntes Soldatenlied aus dem 1. Weltkrieg: "Morgenrot (.) bald wird die Trompete blasen, dann musst Du dein Leben lassen, Morgenrot . zum frühen Tod". Kulturell haben wir diesen Zustand heute offenbar überwunden. Fan-Gemeinden und Love-Parade führen die Jugend anderen Zielen entgegen. Es geht um andere Ressourcen, um andere Objekte, als jene von Krieg, Kampf und Jagd. Es geht aber fast immer um dieselben Reizinhalte, die seit Urzeiten in der Evolution neben der Nahrung durchgängig eine herausragende Motivationsrolle gespielt haben.
Abwechslung durch darstellende Kunst
In den Kaffeepausen fanden die Tagungsteilnehmer Gelegenheit, eine Galerie des bekannten Jagdmalers Hans-Henning Eisermann aufzusuchen.
Maler Eisermann zeigt sich erfreut. Tagungsteilnehmer haben sich nicht nur durch das Interesse an der Besichtigung seiner Werke hervorgetan, sondern auch am Wunsch nach materiellem Besitz an der Kunst.
Jobst Schmidt, Neuling im FORUM, erinnerte mit dem Beitrag: Hirsche, Kieferspanner und der Deutsche Uradel, an eine besondere Art der Wechselwirkung von Gesellschaft, Natur und Jagd, wie sie im Westen der Republik ziemlich unbekannt ist. Historisch beleuchtete soziokulturelle Aspekte, die Abhängigkeiten früherer Forstwirtschaft und Jagdwirtschaft in den deutschen Ostgebieten mit gesellschaftlichen Eliten (vor allem Vertreter des Hochadels) verband, machten nachdenklich. Befanden wir uns doch mit der Tagung im Sorbenland mitten in einer Region, die mit dem Problem einer Wiedereinbürgerung von Wolfspopulationen den Streit um eine Präferenzordnung zwischen unterschiedlichen Interessen in der zoologischen Hierarchie von Jägern (Mensch-Wolf, Natur-Kultur) eine Lösung sucht, die es in einer stabilisierten Harmonie offenbar nicht geben kann.
Einen arbeitsteiligen und zugleich synergetischen Effekt ungewöhnlicher Art, wie er bisher im FORUM wohl noch nicht anzutreffen war, zeigten der Autor und Forumsmitglied Tim Taureg (rechts im Bild) mit dem sprachgewaltigen Pressechef einer Stadt aus Schleswig Holstein, Bernhard von Oberg (links).
Tim wurde durch eine tückische Erkältung seiner Stimme beraubt und konnte den vorgesehenen Beitrag: Jäger in der modernen Gesellschaft, nicht referieren. Also Ausfall? Bernhard, der hilfsbereite Autorenkamerad aus dem Norden sprang in die Bresche und trug den Text des Unglücksraben aus der Pfalz sprachlich so eindrucksvoll mit schauspielerischer Professionalität vor, dass plötzlich ein kollektiver Wunsch nach einer Hör-Kassette von diesem Beitrag zu vernehmen war. Auch das Geistige bedarf, so scheint es hier, der geeigneten Ausdrucksform im kommunikativen Diskurs, um erfolgreich zu sein. Ideologen haben das schon immer begriffen.
Eine Kahnfahrt durch die Spreeauen
Zum Ausklang versammelten Jagdhornbläser die Mitglieder des FORUMS und ihre Gäste zu einer Kahnfahrt auf den Spreegewässern. Zwei Tage lang begleitete Christel Zirnsteins Bläserkorps die Tagungsteilnehmer und intonierte nun zum "Aufmischen" der Gemüter auf den fast lautlos dahin gleitenden Kähnen Klangeinlagen mit Jagdsignalen.
Bewegt von menschlicher Muskelkraft durch die Staker glitten die großen, mit bequemen Sitzplätzen ausgestatteten Kähne durch die märchenhaft wirkende Insellandschaft der Spreearme. Der einzigartige Reiz der natürlichen Schönheit dieser durch Menschenhand wenig umgestalteten Areale hinterließ im Gemüt vieler Tagungsteilnehmern eine beglückende Wirkung.
Ehrenmitglied Dr. Hubert Suter, Heinz Staudinger und andere Kahnfahrer genossen den paradiesischen Eindruck von Stille, Frieden und Naturbelassenheit, den die im Gewässer facettenhaft eingestreuten Landflächen boten. Vorbei an vielfältigen gärtnerischen Kleinodien der Inselsiedlungen, aufgelockert von Marktständen am Ufer, von kleinen Wirtshäusern und Bauerngehöften, von üppigen Blumenbeeten in der Fülle ihrer Blütenpracht. Zwischendurch Gemüseanbau und miniatürliche Obstplantagen, Bienenstände und Fischfanganlagen. Hier haben noch zahlreiche Familien ihren festen Wohnsitz. Zum Festland Lübbenau gelangen sie nur mit dem Kahn - Motorantrieb ist verboten. Selbst die "Christel von der Post" liefert ihre Sendungen, einen Kahn stakend, von Ufer zu Ufer zu den dort angebrachten Briefkästen.
An einer der Inseln lassen die Kahnstaker die Gruppe zum Picknick landen. Das Angebot des Spreewaldgasthofs schien für den Wiener Forumsvorstand Herbert Rosenstingl (vorn links) eine Verpflichtung d'honneur, ein Obligable, wie er später seine Entscheidung zur Abwehr des Anruf seines Gewissens begründete, die Regeln einer aktuellen Diät zu beachten.
Gestärkt durch Speise und Getränk ließen die Jagdhornbläser von Christel Zirnstein alsbald Aufbruchsignale zur Rückkehr vernehmen. Zurück in die Kähne, zum Abendkonvent im Schloss.
Zerstreuung und Vergnügen, so José Ortega y Gasset in den Meditationen, sind schon immer die herausragenden Motive des Kulturmenschen für eine bevorzugte Tätigkeit in der Zeit gewesen, die er nach freien Stücken planen kann. Vergnügt, aber auch nachdenklich zeigen sich die Kahnausflügler des FORUMS am Ende ihres Exkurses auf der Spree.
Gegenwart und Zukunft scheinen zusammen zu fließen. Vergangenheit und Gegenwart, erlebtes und gelebtes Leben sind Meilensteine, Wegweiser, Projektionen für die Zukunft und evolutives Fundament von Kultur und Zivilisation. Jäger sind konservativ. Die Spreewaldregion ist durch die UNESCO mit dem Merkmal Weltkulturerbe ausgezeichnet. Ohne Abkunft keine Zukunft: Jäger wissen das. Sie wissen, dass die Tradition des Deutschen Waidwerks mit richtig verstandenem Brauchtum die Jagd zukunftsfähig machen kann. Jäger sind in der Regel Menschen vom guten Schlage und sie repräsentieren in etwa den sozialen Querschnitt einer Gesellschaft, der sie angehören. Intelligenzeliten sind, so scheint es, aus Gründen, die José Ortega y Gasset am Ende der Meditationen über die Jagd erwähnt, eher auf anderen Feldern anzutreffen. Wie sollte dies auch anders zu denken sein: Im Zuge der Kulturevolution hat die ursprüngliche Form und Verfassung der Jagd an Geist gewonnen und sich auf dem Felde anderer, von Natur abgezogener Ressourcen profiliert. Jagd ist ein universelles Phänomen auch in der Kultur. Jägerinnen und Jäger spielen heute oft die Rolle eines verschämt wirkenden Prototypen, aber ihre geistigen Strategien wirken hinein bis zum Börsenparkett der Weltgroßstädte. Jagdkulturen und Marktkulturen sind verwandt, nur wissen sie noch nicht viel voneinander.