Von Volker Seifert

Carl Maria von Webers (vollständiger Name Carl [Maria] Fri[e]drich Ernst [von] Weber; * 18. oder 19. November 1786 in Eutin, Hochstift Lübeck; † 5. Juni 1826 in London) Freischütz (UA 1821, Berlin) ist nicht nur ein Schlüsselwerk der deutschen Romantik, sondern zugleich ein Operntext mit starker thematischer Verwurzelung im deutschen Volks- und Naturbild. Im Zentrum steht das Milieu der Jägerschaft – ein Motivfeld, das weit über szenische Staffage hinaus eine tiefgreifende musikalische und dramaturgische Funktion übernimmt. Die vielfältige Verarbeitung jagdlicher Topoi in Webers Partitur reicht von klangmalerischer Illustration über symbolische Aufladung bis hin zur dramaturgischen Rahmung des gesamten Werks.

Die Jagd als thematischer Rahmen

800px Caroline Bardua Bildnis des Komponisten Carl Maria von WeberBereits die Exposition des Werks weist auf die zentrale Rolle des Jägerberufs hin: Der Protagonist Max nimmt an einem Probeschießen teil, das über seine Heirat mit Agathe entscheidet – ein Prüfungsritual, das an archaische Initiationsmuster erinnert. Die Jagd ist dabei weit mehr als Beruf oder Sport: Sie fungiert als Symbol für Männlichkeit, Gemeinschaft und Naturverbundenheit, aber auch als Projektionsfläche für Ängste, Schuld und metaphysische Mächte.¹

Klangliche Jagd-Topoi

Webers musikalische Sprache bedient sich einer ganzen Palette klanglicher Signale, die mit der Jagd assoziiert sind. Dazu gehören vor allem rhythmisch markante Motive, punktierte Fanfarenfiguren, Hörner in Terz- und Sextparallelen sowie das stilisierte Echo, das häufig mit der Jagd in Verbindung gebracht wird.²

Ein zentrales Beispiel ist der Jägerchor „Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“ im ersten Akt. Die orchestrale Einleitung nutzt typische Jagdfanfaren in den Hörnern, punktierte Rhythmen und offene Quintakkorde, die ein klangliches Panorama der Jagd eröffnen.³ Die Melodik ist von volkstümlichem Tonfall geprägt, was den Eindruck einer naturnahen, idealisierten Welt verstärkt – ein Eindruck, der im Verlauf der Oper zunehmend brüchig wird.

Abb. rechts: Carl Maria von Weber, Bildnis von Caroline Bardua, 1821

Auch in der Musik des Max finden sich jagdliche Elemente, etwa in seiner Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“. Hier wird der Bezug zur Jagd nicht nur textlich hergestellt, sondern musikalisch durch bewegte Triolen, Terzparallelen in den Hörnern und eine offene Harmonik unterstrichen.⁴ Der Held wird damit klanglich als Teil der Jägergemeinschaft positioniert, obwohl er sich innerlich immer weiter von dieser entfernt.

Die Wolfsschlucht als Gegenbild

Einen dramaturgischen Wendepunkt bildet die berühmte Wolfsschlucht-Szene. Sie konterkariert die Jagdsymbolik des ersten Akts: Wo vorher Harmonie mit der Natur herrschte, bricht nun das Dämonische durch. Dennoch bleibt das jagdliche Motiv präsent – die Gusszeremonie der Freikugeln ist eine pervertierte Form des Jagens.⁵

Musikalisch bedient sich Weber auch hier jagdlicher Topoi, doch in verzerrter, bedrohlicher Form: Hornklänge werden dissonant überlagert, Echoeffekte erscheinen nicht mehr als freundliche Naturantwort, sondern als Ausdruck des Unheimlichen.⁶ Die bekannte Basslinie, die die Szene eröffnet, lässt sich als Umkehrung der sonst stolzen Jagdmotive interpretieren: abwärtsstrebend, chromatisch, geisterhaft.⁷

Symbolik und Transformation

Im Verlauf der Oper erfährt das jagdliche Motiv eine Transformation: Vom Ausdruck gemeinschaftlicher Ordnung (Jägerchor) wandelt es sich zum Symbol individueller Bedrohung und moralischer Prüfung (Freikugeln, Wolfsschlucht). In der finalen Szene – dem Probeschießen – kulminieren diese Stränge.⁸ Die Szene ist nicht nur musikalisch hochdramatisch, sondern stellt auch die Frage nach Schuld, Verantwortung und Gnade – eingebettet in eine Handlung, deren äußere Form immer noch eine Jagdprüfung ist.

Der dramaturgische Rahmen der Oper – vom Probeschießen über die Kugelguss-Szene bis zum finalen Schuss – zeigt, wie tief das Jagdmotiv in die Struktur eingebettet ist. Es ist nicht bloße Kulisse, sondern tragendes Element einer romantischen Erzählung, die Natur, Aberglauben, Gesellschaft und Individuum miteinander verschränkt.

Fazit

Die jagdlichen Motive in Webers Freischütz sind weit mehr als romantisches Kolorit. Sie tragen wesentlich zur semantischen Dichte der Oper bei und sind integraler Bestandteil ihrer musikalischen und dramaturgischen Konzeption. In der Verarbeitung jagdlicher Topoi gelingt es Weber, Naturbild und psychologische Entwicklung miteinander zu verbinden und damit einen Klangraum zu schaffen, in dem das Jägeridyll ins Dämonische kippt – ein zentrales Moment romantischer Ambivalenz.⁹


Fußnoten

  1. Peter Gülke: Musik und Mythos. Gedanken zu Weber und „Freischütz“, München 1991, S. 51–55.

  2. Arnold Feil: Romantische Oper, in: Carl Dahlhaus (Hg.): Grundlagen der Musikgeschichte, Bd. 2, Laaber 1971, S. 123.

  3. Elisabeth Schmierer: Carl Maria von Weber, München 2001, S. 73.

  4. Ebd., S. 77.

  5. Ludwig Finscher (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Bd. 12, Kassel 2004, Art. „Freischütz“, Sp. 1014.

  6. Heinrich Poos: Der Klang der Dämonie. Orchestrale Strategien in der Wolfsschlucht, in: Weber-Studien Bd. 3 (2005), S. 108–111.

  7. Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts, Laaber 1980, S. 95.

  8. Thomas S. Grey: Wagner and the Freischütz Legacy, in: 19th-Century Music 16/3 (1993), S. 224.

  9. Barbara Boisits: Musik und nationale Identität, Wien 2006, S. 152.